3. November 2017
Anger is an Energy

Angst ist ein schräges Thema für ein Magazin. Denkt man – bis man Anxy gesehen hat

Anxy ist ein im Sommer auf der Hamburger IndieCon vorgestelltes Indie-Bookazine aus New York. Mit dem ungewöhnlichen Thema Angststörungen (Anxy von Anxiety) erregte es viel Aufmerksamkeit auf dem internationalen Kongress der Independent Magazine. HuF-Chef Michael Hopp unterzog Anxy im Roten Salon der IndieCon einer öffentlichen Blattkritik. Aus Anlass des bevorstehenden Erscheinens der zweiten Ausgabe – zum Thema Workaholism – hier eine Zusammenfassung von Hopps Anxy-Kritik:

Ich gebe es zu, meine Einstellung war zwiespältig, als ich Anxy das erste Mal sah. Vor allem, nachdem ich gehört hatte, dass die Herausgeber selbst unter verschiedenen Angststörungen leiden und die Arbeit am Magazin dazu beitragen soll, damit zurechtzukommen. Das stimmte mich skeptisch, denn ich habe immer wieder erfahren, dass Betroffenheit und Bekennertum eher limitierend wirken, wenn wir über Schreiben, Blattmachen und Medien reden. Ohne Zweifel ist es für viele von uns hilfreich, dass es eine Bewegung wie die „Anonymen Alkoholiker“ gibt – die Vorstellung eines Magazins mit einer „Hi, my name is Lisa“-Attitüde finde ich dagegen weniger verlockend.
Ähnlich abschreckend fände ich die Idee eines Burn-out-Magazins – hatte die eigentlich jemand? Mich hatte schon die Flut der diesbezüglichen Artikel total erschöpft. Als ich Anxy in die Hand bekam, dachte ich zunächst, die Burn-out-Welle habe nun selbst der Burn-out ereilt, oder das Symptom habe in der übergeordneten Familie der Angststörungen vorübergehendes Obhut gefunden, bevor es endgültig entsorgt wird.
Soweit meine privaten Vorurteile. Als Chefredakteur und Medienentwickler, gerade auch von „Zeitgeist“-Magazinen wie WIENER und Tempo, muss ich sagen, dass ich fast geschockt war, als ich Anxy das erste Mal durchblätterte. Und das aus einem simplen Grund: Ich kann mir in punkto Medienideen für diese Zeit wenig vorstellen, das „zeitgeistiger“ wäre, als es Anxy ist. Verdammt, warum hatte ich nicht die Idee?
Zumal das Phänomen, das Anxy thematisiert, unübersehbar ist: Angststörungen haben in Amerika eine epidemische Dimension erreicht, in der Zwischenzeit ist bei Weitem nicht nur die sich selbst überfordernde Generation Y betroffen, sondern es sind die Millionen in den Heartlands draußen, da wo Trump seine Mehrheiten hat – und wo heute die Heroinsucht wie eine Dampfwalze über das Land kommt, ein Grauen, ohne jedes Vorbild in der Geschichte.
Dazu kommt, in Amerika haben die Ängstlichen den Ängstlichsten von allen zum Präsidenten gewählt. Es ist ja wirklich eine lange Liste, wovor sich dieser Typ fürchtet: vor der Globalisierung, dem wirtschaftlichen Niedergang, den Einwanderern – davor, nicht intelligent genug zu sein, vor dem Haarverlust und dass sein Schwanz zu klein ist. Und in direkter Konsequenz terrorisiert dieser Präsident die ganze Welt – mit seiner WUT.
„Anger“ ist dann auch das Motto der ersten Anxy-Ausgabe, aus der Erkenntnis geboren, dass es die Wut sein kann, die aus der Angst heraus hilft. Womit wir schon in der „Wut“-Ausgabe von Anxy sind – damit soll nicht gesagt werden, es sei das Heft für Trump-Afficinados, ganz im Gegenteil, Anxy zeigt ganz klar, dass sich die Angststörungen sowohl in den Trump- wie in den Anti-Trump-Milieus entwickeln, dass aber jeder, der darunter leidet, an den Punkt kommt, wo es darum geht, Angst und Wut ins Verhältnis zu setzen. Klar fällt mir Johnny Rotten dazu ein und sein unsterbliches „Anger is an energy“. Ich denke, darum geht es in Anxy.
Ich finde Anxy wirklich aufregend, in noch einer weiteren Hinsicht: Es demonstriert, wie die Kraft des Storytellings, des wahren Storytellings, die Barrieren der Ideologien überwindet. Trump kommt in dem Heft nicht vor. Anxy hält sich keinen Moment damit auf, über Angst oder über Politik zu theoretisieren, sondern zeigt – gelassen und konkret, auch da, wo Illustrationen und keine Fotos eingesetzt werden –, wie Menschen in ihrer Situation klarkommen, und was die Gründe dafür sein könnten, wenn es mal wieder „strange“ wird. Und die Leichtfüßigkeit, mit der das gemacht ist, als gäbe es gar nichts anderes, ist das Beeindruckende.
Am Ende zeigt sich, Anxy ist viel mehr als sein Programm und vielleicht auch als seine Überzeugung – nämlich ein brillant gemachtes Magazin, das aus der schieren Qualität heraus Hoffnung stiftet und damit das Zeug hat, etwas zu bewegen. Gegen die Angst.

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