„Das Ohr sieht mit“

Timo Blunck war zu Gast im Content House. Er hat aus seinem Roman „Hatten wir nicht mal Sex in den 80ern?“ gelesen. Als ehemaliger Bassist von Palais Schaumburg ist Timo eine NDW-Legende. Heute betreibt er mit BLUT eine Agentur für Film- und Werbemusik. Content & Verzweiflung hat mit ihm gesprochen – über sein Buch, seine zweite Karriere als Komponist und darüber, was Sound im Marketing bewirken kann.

Interview: Chris Elster

Lieber Timo, Falco hat gesagt: „Wer sich an die 80er Jahre erinnern kann, hat sie nicht erlebt.“ Wie hast du es geschafft, eine Platte UND ein Buch darüber zu machen?

Mein Buch beziehungsweise Album handelt ja nur zu einem Drittel von den 80ern. Es spielt sehr intensiv in den letzten 20 Jahren, und da ist die Erinnerung sehr viel frischer. Durch meine nicht-chronologische Erzähl-Struktur mische ich aber immer wieder die verschiedenen Zeit-Ebenen und erwecke den Eindruck einer lückenlosen Erinnerung. Das ist nicht wirklich so. Ich erinnere die 80er in Highlights, große Momente, die ich natürlich über die Jahre leicht ausgeschmückt und schließlich im Roman noch mal knackiger verpackt habe. Und dann gibt es ja auch noch das Internet. Das eigene Leben zu recherchieren ist sehr lustig. Jeder hat sich schon mal gegoogelt, aber bei mir gibt es immer wieder den Effekt, dass da Setlists und Catering-Anforderung von Konzerten zutage kommen, an die ich mich gar nicht mehr erinnere. Ich war mal in Enger? Ich hab mal in Linz gespielt?

Welche Karriere hat Dich nachhaltiger geprägt: die als Bassist von Palais Schaumburg? Oder die als Komponist für Werbe- und Filmmusik und als Agenturchef von BLUT?

In der öffentlichen Wahrnehmung werde ich immer der 19-jährige Palais-Schaumburg-Bassist bleiben, jedes zweite Gespräch mit einem neu-kennengelernten Gegenüber beginnt mit „Timo Blunck? Der von Palais Schaumburg?“. Aber mein Leben war natürlich nicht mit 19 vorbei – meine Karriere als Komponist und Unternehmer, meine Zeit in London, Louisiana und L.A. sind sehr viel prägender gewesen als meine 15 Minuten Popstar. Am meisten hat mich die Beziehung zu meiner (Ex-)Frau, meine Rolle als Vater meiner drei Söhne bestimmt – Letzteres ist auch das Einzige, auf das ich wirklich stolz bin.

Mit Deiner Agentur BLUT komponierst Du Musik zum Beispiel für Porsche, VW, Siemens und Hornbach. Was macht für Dich einen guten Signature Sound aus? Und wie fängst Du als Komponist an, den Sound eines Unternehmens zu kreieren?

Recherche, Recherche. Bevor man sich hinsetzt, für ein Unternehmen zu komponieren, lernt man es kennen. Und zwar bis ins Detail. Was machen, produzieren die? Was für Leute arbeiten da? Was ist das generelle Umfeld? Auch die Konkurrenz muss betrachtet werden. Was unterscheidet das Unternehmen von anderen? Ich fahr zum Standort, spreche mit den Leuten, sauge die Atmosphäre auf. Dann definiere ich die akustische DNA der Marke, kläre sie in Workshops mit Marketing-Abteilung und Firmen-Leitung ab. Nach dieser Blaupause wird komponiert, und da beschäftige ich immer mehrere Komponisten, briefe hart, aber lasse auch musikalische Visionen zu, denn Musik lässt sich nicht 100-prozentig verwissenschaftlichen. Ein Corporate Sound muss mit sehr wenigen Tönen sehr viel über ein Unternehmen aussagen, und das macht man nicht mal so eben am Klavier.

Durch Alexa und andere Sprachassistenten hat Branding durch Soundlogos und Sprecherstimmen an Bedeutung gewonnen. Wo wird die Reise hier Deiner Ansicht nach hingehen?

Ich halte seit jeher jede Form akustischer Markenführung für extrem wichtig. Mein Motto ist „Das Ohr sieht mit“. Der Mensch erlebt vornehmlich visuell, aber der emotionale Zugang zum sinnlichen Gesamteindruck kommt über unser Gehör. Man kann das gleiche Bild mit zwei verschiedenen Klängen unterlegen und kommt zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen: Eine Strandszene mit Reggae-Untermalung sagt Urlaub, wenn man bedrohliche Filmmusik drunter legt, ist es „Der weiße Hai“. Auch eine prägnante Stimme ist ein Sound, den man wiedererkennt und der damit das akustische Branding vorantreibt. Diese Erkenntnisse setzen sich immer mehr durch, die Reise hat gerade erst angefangen.

Ziel von uns Storytellern bei HuF ist es, unsere Geschichten auf alle Kanäle zu bringen. Welche Chancen siehst Du im Audiobereich für unsere Branche?

Musik ist nicht nur als Soundtrack oder im Audio Branding relevant. Sie kann auch selbst die Story sein. Künstler sind Identifikations-Objekte, erzählen Geschichten oder sind selbst ein Thema. Deshalb bieten wir mit der BLUT Sub-Firma blutjung.agency Artist Cooperations an, um vor allen Dingen im Digital-Bereich interessante Projekte zu verwirklichen. Letztes Jahr haben wir mit einem Clip für den VW Polo Special Edition „Dr. Dre Beats“ mit dem Rapper Alfred Banks den deutschen Werbefilmpreis gewonnen.

Was wünscht Du Dir als Komponist von Storytellern? Siehst du Schnittstellen für mögliche Kooperationen?

Diese Frage beantworte ich wieder als Künstler: Ich bin eine wandelnde Geschichte und habe offensichtlich keine Berührungsängste mit der Werbung – meine Integrität kann aber trotzdem kompromittiert werden, wenn ich meinen Namen mit dem falschen Produkt oder mit einer schlechten Idee verbinde. Gut gemacht wäre zum Beispiel Palais Schaumburgs „Wir bauen eine neue Stadt“ ein Knaller für Hornbach. Und so ein salziger Hund wie ich könnte auch 1 a stylische Best-Ager-Produkte verkaufen. Aber es muss stimmen. Idee, Produkt und Künstler müssen zusammenpassen, es darf auch nicht zum Schluss nur mal kurz das Brand-Logo auftauchen, sondern die Marke muss Teil der Story sein.

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