2. Mai 2019
Der Dorfpunk lebt hier nicht mehr

Erst pilgerten Punks und dann die Fans von Rocko Schamonis Roman „Dorfpunks“ an die Ostsee. Und heute?

Text: Julia Rupf

Sehr gerne hätten wir Rocko Schamoni bei unserem Content House Salon „Kiek mol in – Regionalmarketing-Rockstars“ dabeigehabt, ging aber nicht, er ist gerade zu beschäftigt mit der Musik zur Theaterversion des „Goldenen Handschuh“, sonst sehr gerne.

Eventuell war auch unsere Idee, den „Dorfpunk“ in unserem Cast an Podiumsgästen sozusagen als Archetyp der Regionalmarketer zu besetzen, etwas zu verwegen.

Wir wussten ja auch, dass Schamoni dem Betreiber des See-Pudels in Behrensdorf, jede weitere Promotion mit der angeblichen Abstammung der Strandkneipe von Schamonis Hamburger Original-Pudel-Club per Gericht untersagt hat.

 

Von Underground zu Mainstream

Und wir kannten die ambivalente (ein Scheiß-Wort, aber wenn es wo passt, dann hier) Einstellung von Schamonis Pudel-Partner Schorsch Kamerun zur Vermarktung von Punk und Subkultur, die er in einem früheren unserer Salons geäußert hatte: „Heute hat sich der Weg von Underground zu Mainstream bis auf null verkürzt. Subkultur wird sofort zum verkaufbaren Label. Wie soll sie sich da behaupten? Zumal man ja zum Beispiel mit dem Pudel Club in der Hafenstraße selbst zu dieser Entwicklung beigetragen hat. Neben dem Club haben mittlerweile Luxusrestaurants eröffnet, und die größte Werbeagentur Deutschlands wird sich dort niederlassen.“

Beigetragen hat allerdings Kamerun auch zum „Dorfpunk“-Mythos, den Schamoni schon 2004 gezimmert hatte, mit seinem 2016 erschienenen Ostsee-Memoire „Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens“. Kamerun schildert darin ausführlich die schicksalhafte Begegnung der beiden jungen Punks in Timmendorfer Strand, die am Ende Kamerun zu nichts Geringerem als zur Gründung der „Goldenen Zitronen“ veranlasste.

 
Vermarktung für die Ostsee

Und so gab es immer wieder mal Anläufe, die Punk-Szene an der Ostsee, die Ende der 70er-Jahre, noch vor der Wende, an den Start ging, als ein Vermarktungsargument für die Fremdenverkehrsregion Ostsee anzuführen, anders macht es Großbritannien mit seinen Punks seit Jahrzehnten ja auch nicht.

Zumal die Dorfpunks schöne Spuren gelegt haben, die sich heute touristisch vermessen lassen, das Jugendhaus Klex in Greifswald, der M.A.U. Club in Rostock, das AJZ in Neubrandenburg und eben Kleinstädte wie Lütjenburg (Schamonis Geburtstadt!), Behrensdorf (See-Pudel, naja) oder Timmendorfer Strand (Kamerun-Gelände). Mit dem Erscheinen von „Dorfpunks“ begannen nicht nur Anhänger der früheren Punkszene, sondern auch begeisterte Leser an die Ostsee zu pilgern, und der Hype ging in eine zweite Runde.

 
Mythos ist vaterlos geworden

Und heute? So richtig Punk ist das alles nicht mehr. Die Locations haben neue Besitzer oder ein neues Konzept, neue Subkulturen sind entstanden und die Musik veränderte sich. Und die beiden Freunde Rocko und Schorsch wollten ohnehin nie, dass ihre eigenen Locations mit Werbung in Verbindung kommen. Irgendwie ist der Mythos vaterlos geworden. Erst vor Kurzem erzählte Rocko Schamoni in einem Interview, dass in seiner Heimat die „Kulturschätze“ verfallen. „Die Landdiskotheken sind geschlossen, ein Großteil der Kneipen ist zu.“ Er sei zwar selbst ein „Rückkehrer, und immer wieder da“, aber diejenigen, die jetzt da wohnen, seien dafür verantwortlich, „dass ihre Dorfdisko nicht aufgegeben wird, und dort Ferienwohnungen reinkommen. Das kann ich als jemand, der ab und zu da ist, nicht aufhalten.“

 

Rocko Schamoni: Dorfpunks. Rowohlt Taschenbuch, 208 Seiten, 9,99 Euro

Schorsch Kamerun: Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens. Ullstein Taschenbuch., 256 Seiten, 10 Euro

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