2. Mai 2019
Gegenpol zur Großstadt

Dr. Christian Kuhnt ist Intendant des Schleswig-Holstein Musik Festivals – und war Podiumsgast auf unserem 8. Content House Salon zum Thema Regionalmarketing. Welche Strahlkraft das Festival für den deutschen Norden hat und warum Hamburg das ländliche Umland genauso braucht wie umgekehrt, erzählt er im Interview.

Interview: Sabrina Waffenschmidt


Gegenpol zur Großstadt
 
Welche Rolle spielen regionale Bezüge für das Schleswig-Holstein Musik Festival? Der regionale Bezug steckt ja schon im Namen…

Wir haben diesen regionalen Bezug an jeder der 107 Spielstätten des Festivals. Jede Spielstätte hat ihren ganz besonderen Reiz – von einer Rinderauktionshalle bis hin zur kleinen Kirche, dazwischen Scheunen, Reithallen, aber auch Industriebrachen und Mehrzweckgebäude. Dadurch hebt sich das Festival vom routinierten Konzertbetrieb in den Metropolen ab.

 

Bekommt das „Ländliche“ denn generell einen neuen Stellenwert?

Es ist nicht nur die ländliche Idylle, sondern der gesamte Reiz der Festivalorte, die als Gegenpol zur Großstadt funktionieren. Diese Vielzahl von Orten geht über ein einfaches Bild, das man möglicherweise vom ländlichen Raum hat, hinaus. Wir bespielen eben nicht nur Scheunen auf einer Gutsanlage, sondern auch Festsäle, Gastwirtschaften, die sich noch im Originalzustand von vor knapp 100 Jahren befinden, oder ein hochmodernes Bio-Gewächshaus. Ich beobachte, dass dieser Wunsch nach einem Gegenpol zur Stadt immer größer zu werden scheint.

Welchen Stellenwert hat denn umgekehrt das Festival für die Region und deren Vermarktung?

Ich glaube, dieser Stellenwert ist gar nicht hoch genug einzuschätzen. Wenn man in die 80er-Jahre zurückschaut, stand Schleswig-Holstein noch für Landwirtschaft und den Niedergang der Werften. Es war ein armes Bundesland, das kaum positive Strahlkraft hatte. Mit der Gründung des Festivals 1986 hat Schleswig-Holstein nicht nur eine nationale, sondern auch eine internationale Beachtung als Kulturort gewonnen.

 

Sie haben viele Jahre in Hamburg verbracht und leben inzwischen in Lübeck – wie wichtig ist Hamburg für das Umland und wie wichtig ist das Umland für Hamburg?

Aus Perspektive des Festivals ist Hamburg ein Teil von Schleswig-Holstein. Hamburg ist ohne Zweifel die Metropole hier im Norden. Wir brauchen sie als Motor, und man ergänzt sich auf wunderbare Art und Weise. Umgekehrt haben die Hamburger ein großes Bedürfnis, ihre Stadt und ihren Stadtalltag auch mal zu verlassen und die Ruhe und Ungezwungenheit der ländlicheren Regionen zu suchen. Sie fahren selbstverständlich zur Nord- und Ostsee und begreifen diese auch als Teil ihrer Identität. Letztlich ist das Umland der Kontrapunkt zum Metropolenleben.

Wie setzt sich Ihr Publikum denn zusammen in Hinblick auf das Verhältnis Stadt – Land und Tourist – Einwohner?

Wir haben einen extrem hohen Publikumsanteil an Schleswig-Holsteinern, etwa 70 Prozent. Das ist seit Festivalgründung auch konstant so geblieben und für uns ein ganz wichtiger Faktor. Dies ist deswegen so interessant, weil es einen Tourismus innerhalb des Bundeslandes gibt. Wer an der Westküste wohnt, fährt im Rahmen des Festivals an die Ostküste, erlebt dort Konzerte, verbindet das mit einem Restaurantbesuch und einer Übernachtung im Hotel. Und umgekehrt. Rund 15 Prozent des Publikums kommen aus Hamburg, wozu aber auch die Randbereiche wie Ahrensburg oder Norderstedt gehören. Der überwiegende Teil unseres Publikums stammt also aus dem Norden und das betonen wir auch in unserer Vermarktungsstrategie. Denn die Menschen, die hier im Norden leben, sind auch nächstes Jahr wieder potenzielle Kartenkäufer.

Welche Aspekte stehen im Mittelpunkt der Marketing-Strategie des Festivals?

Wir haben es mit einem Publikum zu tun, das aus Einsteigern, Interessierten und Enthusiasten besteht. Das bedeutet, dass wir nicht wie etwa in einer Kulturmetropole wie Berlin davon ausgehen können, dass das Publikum weiß, was uns selbstverständlich erscheint. Dementsprechend ist die Vermittlung das höchste Gut: Wir müssen unsere Inhalte so vermitteln, dass unser Publikum sie versteht und einen Anreiz hat. Nach 33 Jahren genießen wir einen großen Vertrauensvorschuss, und für dieses Vertrauen bedanken wir uns jedes Jahr mit einer Programmgestaltung von allergrößter Sorgfalt. Die beste Werbung sind schließlich gelungene Konzerte. Wichtigstes Instrument sind Direktmarketing-Maßnahmen. Wir stehen das ganze Jahr über auf eine personalisierte Art und Weise mit unseren Kunden in direktem Kontakt.

 

Was würden Sie sich für die Region wünschen für die nächsten Jahre?

Ich wünsche mir, dass wir den ländlichen Raum stärken. Das tun wir nämlich nicht. Ich spreche aus eigener Erfahrung und bin deswegen auch bewusst nach Schleswig-Holstein gezogen. Wir dürfen unser Land nicht alleine aus der Perspektive der Metropole betrachten, sondern eben auch aus dem ländlichen Raum heraus. Denn in der Provinz – und den Begriff meine ich sehr positiv –wohnen mehr Menschen als in den Metropolen. Doch die werden häufiger mal vergessen. Gleichzeitig muss man die Infrastruktur stärken, weil dieser ländliche Raum erreicht werden muss und das in Zukunft hoffentlich immer weniger mit dem privaten Pkw, sondern mit einem übergreifenden Mobilitätskonzept. Schleswig-Holstein stellt schon ganz gute Weichen, aber da kann meiner Meinung nach noch mehr passieren. Dann wird es vielleicht auch wieder interessanter für junge Menschen, nach Rendsburg oder Meldorf zu ziehen.

Das nächste Schleswig-Holstein Musik Festival findet vom 6.7. bis 1.9.2019 statt. 

Interview: Sabrina Waffenschmidt

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