„Medien sind gut, wenn… sie zur Beteiligung anregen!“

Urs Spindler moderierte zusammen mit Michael Hopp den Blattkritik Salon „Der St. Pauli Code – Medien in Hamburg regional und hyperregional, on- und offline“. Teilnehmer waren: Lars Haider (Hamburger Abendblatt), Dennis Imhäuser (Eimsbüttler Nachrichten), Charlotte Parnack (DIE ZEIT: Hamburg), Martin Petersen (STADTLICHH) und Christoph Schäfer (PlanBude).

Urs, wie wurdest Du Co-Host vom Blattkritik Salon (BKSH)?
Urs: Wir haben Michael als Blattkritiker kennengelernt, für ein Magazinkonzept, das wir im Auftrag eines Hamburger Verlags entwickelt haben. Gerade wenn man in kleinen Teams arbeitet, wird man irgendwann betriebsblind – da kann ein Blick von außen hilfreich sein. Wir haben den Kontakt gehalten und Michael für die erste Ausgabe der Indiecon für einen Workshop angefragt; aus der Zusammenarbeit hat sich dann das Format „Blattkritik“ entwickelt. Die Veranstaltung kam sehr gut an, Chefredakteure und Besucher nahmen die konstruktive Kritik gut auf. Michael und Eli haben die Idee dann weiterentwickelt und gemeinsam mit Christian Sauer zu einem regelmäßigen Format ausgebaut.

Wie hat Dir der letzte BKSH „Der St. Pauli Code“ insgesamt gefallen?
Urs: Erst mal ein großes Lob vorweg: Michael hat es geschafft, einen Querschnitt der Medienschaffenden aus Hamburg an einen Tisch zu bringen. Die Mischung war dann auch eher ungewöhnlich, und ich fand es toll, dass mit STADTLICHH und Abendblatt, Zeit Hamburg und Eimsbütteler Nachrichten wirklich sehr unterschiedliche Publikationen vertreten waren. Mich hat es auch gefreut, dass die Veranstaltung so gut besucht war. Das Engagement und die Wortbeiträge der Zuschauer waren sehr anregend.

Was war der Grund, dem Blattkritik Salon mit der Einladung von Christoph Schäfer von der PlanBude auf St. Pauli eine politische Ausrichtung zu geben?
Michael: Wir haben ja bei der Blattkritik von Anfang an gesagt, dass wir sie Kontext-bezogen machen – also nicht „Was ist die reine Lehre“, sondern wie geht man als Medienmacher mit den Bedingungen um, die man vorfindet. Das Schöne an Regionalmedien ist, dass sie sehr nah an den Menschen sind und von den Bedingungen ihres Zusammenlebens handeln. Und mit dem Internet sind die Möglichkeiten größer geworden, noch konkreter zu werden, mehr ins Detail zu gehen, nicht nur „einkanalig“ zu senden, sondern den Dialog zu führen. In so eine weite Definition von Medium gehört für mich eine Initiative wie die PlanBude und der Einfluss, den sie auf die Entwicklung des Stadtteils ausübt, absolut hinein, sie arbeitet ja auch stark mit Mitteln der Darstellung. Und natürlich gehören am anderen Ende des Spektrums das Hamburger Abendblatt oder der neue Hamburg-Teil von DIE ZEIT genauso dazu. Spannend ist, wie sich diese ganz verschiedenen Ansätze aufeinander einstellen – das konnte man ja in der Diskussion dann ganz plastisch erleben.

Was hat Euch überrascht am Verlauf der Diskussion?
Michael: Der allgemeine Konsens darüber, wie gut immer wieder die Hamburg-Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung ist – mit der gemeinsam formulierten Erkenntnis, dass ein entspannter „Außenblick“ oft mehr hergibt als die tägliche Nahaufnahme…
Urs: Mich hat das Engagement der Hamburger Zuschauer für städtebauliche Fragen überrascht. War mir nicht bewusst, dass sich so viele Leute für zum Teil sehr kleinteilige, städtische Projekte interessieren.

Welche Aspekte hättet Ihr gerne noch vertieft?
Urs: Wir hätten die Debatte gern noch stärker auf die Frage gelenkt, inwiefern sich Medien selbst in Stadtentwicklungsprozesse einmischen können und sollen – also die Warte des „objektiven“ Berichterstatters verlassen, um öffentliche Diskussionen mitzuprägen. Die PlanBude ist ja ein Beispiel für ein „lebendiges Medium“, in dem der Output das Ergebnis eines partizipativen Prozesses ist. Auf der anderen Seite öffnen sich auch klassische Medien im Lokalen immer stärker für den Input ihrer Leser. Wie viel Distanz und wie viel Teilnahme braucht es? Wann muss sich auch ein Chefredakteur positionieren, etwa zu einer Entwicklung im öffentlichen Raum? Da sind wir im Verlauf der Diskussion leider nicht so in die Tiefe gekommen. Den Gedanken finde ich trotzdem nach wie vor faszinierend: Welche Rollen etablierte Medien und wirklich graswurzelige Projekte gerade im Lokalen einnehmen, wenn es um die Gestaltung des Stadtraums geht.
Michael: In Wien, wo ich herkomme, war 1976 die Besetzung der ehemaligen Schlachthöfe St. Marx – die sogenannte Arena-Bewegung – so eine Art Urknall für neue Medien, ob es die Arena-Zeitung war, das Wespennest, sicher aber kurz darauf auch der Falter und der WIENER, wo ich dann Chefredakteur war. Ich bin mit der Schreibmaschine auf dem besetzten Gelände gesessen und habe kämpferische Berichte geschrieben – ich weiß gar nicht mehr, ob die wer gedruckt hat. Aber das ist so mein Ur-Bild von Journalismus und es freut mich, wenn ich diesen Spirit heute wiederfinde.

Urs, wie stehst Du dazu, dass große Verlage eigene Lokalteile herausgeben? Sind sie eine Gefahr für kleinere, unabhängige Magazine?
Urs: Mein Gefühl ist: Unabhängige Magazine besetzen oftmals andere Nischen als die klassischen Medien. Ich glaube nicht, dass hier ein Verdrängungswettbewerb besteht. Im Gegenteil: Die klassischen Medien können vielleicht von den kleinen unabhängigen Titeln profitieren, man sieht es zum Beispiel an bestehenden Kooperationen zwischen Zeit Online und den Eimsbütteler Nachrichten oder der Szene Hamburg. Interessant wäre zu schauen, ob Journalisten beispielsweise der Zeit oder des Abendblatts sich mit ihren Ideen und ihrer Fähigkeit, Prozesse in Geschichten zu übersetzen, auch in ein Projekt wie die PlanBude einbringen könnten. Vielleicht ergibt sich dazu ja noch mal eine Gelegenheit.

Habt Ihr ein Lieblings-Stadtheft?
Urs: Ich finde das Durchhaltevermögen des STADTLICHH-Magazins sehr beachtlich, das vorwiegend ehrenamtlich geführt und produziert wird. Auf der letzten Indiecon habe ich THNK TNK entdeckt – nicht wirklich ein Regionalmagazin, aber die zweite Ausgabe hat sich auf sehr interessante Art und Weise mit Stadtentwicklung beschäftigt – einige Macher kann man übrigens samstags in Hamburgs neuem Magazinladen „Heft“ im Karoviertel treffen. Was ich ausgesprochen schade finde: Dass das Magazin Read im Moment nicht mehr erscheint. Das war immer eine zuverlässig gute Lektüre.
Michael: Ich bin ein Fan der Eimsbütteler Nachrichten, weil ich erstens die Online-Print-Strategie interessant finde und weil in den gedruckten Zeitungen ein ernsthafter, engagierter Journalismus steckt, der mich beeindruckt.

Was erwartet Ihr von einem guten Stadtmagazin?
Urs: Wenn ich eine Lokalzeitung lese, dann erwarte ich auch das „klein klein“ – also: Was geht ab auf der Bezirksversammlung, wo wird eine neue Straße gebaut und was kostet sie? Das ist zwar Schwarzbrot für Redakteure, aber wenn man lokal etwas bewegen will, sind das die Ansatzpunkte. Sonst interessiert mich natürlich auch, was um mich herum passiert – Kunst und Kultur, gute Menschen und Orte in der Stadt.
Michael: Ich finde gut, wenn der Eskapismus der Medien wieder etwas zurückgedrängt wird und die konkreten Bedingungen des Zusammenlebens angesprochen werden – also eine Politisierung. Kann man die Mieten bezahlen, die Luft atmen, können kleine Händler überleben, gibt es Buchhandlungen, Programmkinos, bleiben vermischte Strukturen, wie nutzen wir die Chancen, die sich aus dem multikulturellen Zusammenleben ergeben, wie integrieren wir Kranke und Alte? Das sollen Medien bringen und nicht immer nur Diät-Wahn oder James-Bond-Gewinnspiele.


Interview: Anja Steinbuch
Urs Spindler betreibt gemeinsam mit seinem Bruder Malte sowie weiteren Journalisten, Grafikern und Designern die Agentur „Die Brueder“ in Hamburg und Berlin. „Die Brueder“ produzieren Print- und Online-Medien, beraten und konzipieren. Die Agentur hebt auch Veranstaltungsreihen aus der Taufe: So organisiert sie diesen Sommer bereits zum dritten Mal die Indiecon – ein Festival für unabhängige Magazine.

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