Interview mit Star-Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke
„Mikroorganismen verraten, wie lange eine Leiche an einem Ort liegt“

Sag mal, Mark: Was macht eigentlich ein Kriminalbiologe und welche Rolle spielen dabei Mikroorganismen?

Kriminalbiologen bearbeiten spurenkundlich, was von einer Tat übrigbleibt. Dazu kann auch die Analyse von Mikroorganismen gehören. Denn in jeder biologischen Nische gibt es bestimmte, darauf angepasste Lebewesen. Findet man beispielsweise in einer Kiste eine verfaulte Leiche, die Bakterien eines Lebenden aufweist, dann stellt sich die Frage, ob kürzlich jemand am Tatort war. Denkbar ist dann unter anderem, dass der Täter die Kiste geöffnet hat, um zu sehen, ob die Leiche noch vor Ort ist und dabei Mikroorganismen zurückgeblieben sind. Ein solcher Fund kann dann Anlass dafür sein, auf der Leiche nach Hautzellen eines Anderen zu suchen. Mithilfe von Mikroorganismen lässt sich außerdem prüfen, wie lange sich die Leiche schon an einem bestimmten Ort befindet.

Spielen solche mikrobiellen Spuren vor Gericht eine Rolle?

Bisher noch gar nicht. Es handelt sich dabei um eine ganz frische Forschungsdisziplin. Insgesamt liegt die Schwierigkeit bei der spurenkundlichen Analyse von Mikroorganismen vor allem darin, dass Bakterien sehr schwer zu untersuchen sind. Zwar lässt sich die Erbsubstanz leicht gewinnen, aber dann jemanden zu finden, der sich mit den Lebensgewohnheiten auskennt, das ist eine große Herausforderung.

Gibt es denn solche Bakterienexperten überhaupt und wenn ja, wo?

Ich war letztens in der Deutschen Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen des Leibniz-Instituts, dem DSMZ. Das ist die größte Sammlung von Mikroorganismen, die es gibt. Für die Wissenschaftler vor Ort ist es ein Kinderspiel, Bakterien richtig zuzuordnen. Sie können viel über die Lebensweise, die Lebensbedingungen und die Erbsubstanz sowie über die genaue Bestimmung der Kleinstlebewesen aussagen, das ist ein Traum! Dadurch, dass dort neuerdings sämtliche DNA-Daten von Mikroorganismen verfügbar sind und das DSMZ auch sichere Zuordnungen dieser Daten zu den Lebensgewohnheiten von Bakterien treffen kann, ist es das allererste Mal, dass wir auf dem Weg hin zur gerichtlichen Nutzung von mikrobiellen Spuren den Finger ins Wasser getunkt haben. Getaucht ist da aber noch keiner. Ein paar Kolleg*innen tasten sich derzeit langsam heran, indem wir unter kontrollierten Bedingungen Spuren sammeln und dann schauen, welche Aussagen sich sicher treffen lassen. Das wird seine Zeit brauchen.

Du hast mit den DSMZ-Forschern auch über Kreuzkontaminationen gesprochen. Was hat es damit auf sich?

Heutzutage lässt sich genetisch so weit vordringen, dass man sich fragen muss, ob man überhaupt noch ordentlich Spuren abreiben kann, ohne eine Überkreuzung mit irgendwas zu haben. Beispielsweise kann es sich bei der Kreuzübertragung um etwas handeln, das vor drei Wochen mal durch die Tür geflogen ist. Im DSMZ lässt sich das kontrollieren. Das mal zu sehen, fand ich cool! Mal deren komplett unsichtbare Welt mit meiner komplett unsichtbaren Welt zu vergleichen – also Spuren, die wir nicht mehr sehen können, zusammenzuführen. Ich bin nun wieder sicher, dass sich in einer unsichtbaren Welt, in der sich vieles vermischen kann, trotzdem noch gut genug arbeiten lässt, dass es am Ende vor Gericht zu einer Aussage reicht. Bei genetischen Fingerabdrücken hat es geklappt. Warum nicht auch hier?

Eine letzte Frage noch: Hast Du einen Lieblingsmikroorganismus?

Also wenn ich mich entscheiden muss, dann fällt mir die Pseudomonasgruppe ein, die „Pfützenkeime“ sind – Bakterien mit spannenden Eigenschaften: Sie können beispielsweise Leichen in ganz interessante Grüntöne verfärben, von tannengrün über apfelgrün bis hin zu grasgrün. Und außerdem riechen die Leichen dann nach Lindenblüten… allerdings nach ziemlich vielen.

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