Unser Chefredakteur Michael Hopp und unser ehemaliger Redakteur und heutiger „Post Doc“ an der Uni Wien, Chris Elster, haben beide Bücher geschrieben, die jetzt zum Jahreswechsel erscheinen. In beiden geht es um unterschiedliche Arten von Obsessionen. Zwei Schallplattensammler im Gespräch
Michael Hopp: Chris, in Deinem Buch „Pop-Musik sammeln. Zehn ethnografische Tracks zwischen Plattenladen und Streamingportal“, das zum Teil während Deiner Zeit bei HuF in den Jahren 2018 und 2019 entstanden ist, erscheinen sehr verschiedene Typen von Musiksammlern. Wie neurotisch ist das Sammeln von Schallplatten? Oder anders gefragt: Ab wann wird es neurotisch? Was sind die Alarmzeichen? Du weißt ja, ich frage da ein bisschen in eigener Sache …
Chris Elster: Das ist eine gute Frage. In der Popkultur haftet Sammler*innen der Ruf an, spleenig, neurotisch oder regelrecht süchtig zu sein. Der Plattenhändler wird dann zum „Pusher“, sein bester Kunde zum „Vinyl Junkie“. Das ist dann der, der die Kontrolle über seinen Schallplattenkonsum verloren hat, aber eben auch den besten Stoff kennt. Mich hat in meiner Forschung aber weniger interessiert, ob meine Interviewpartner*innen wirklich neurotisch sind. Das kann und will ich gar nicht beurteilen. Ich habe untersucht, wie Sammler*innen sich an diesen Vorstellungen und kulturellen Figuren abarbeiten und sie zum Gegenstand ihrer eigenen Identitätsarbeit machen. Wenn dann jemand mit Tausenden Platten von sich behauptet, gar kein Sammler zu sein, könnte man das vielleicht als ein „Alarmsignal“ deuten. Sammler sind dann immer die Anderen und nie man selbst, weil echte Sammler sind ja total verrückt! Wie stehst du denn mit deinen jahrelangen psychoanalytischen Erfahrungen zu der Frage? Immerhin widmest du in deiner Autobiografie „Mann auf der Couch“ zwei ganze Kapitel dem Thema Schallplatten und Schallplattenhören.
MH: Ich hatte ja sogar drei, habe dann aber auf dringliches Bitten meiner Verlegerin Nora Sdun vom Textem-Verlag auf zwei gekürzt. Hier noch mehr ins Detail zu gehen, könnte ein Show-Stopper sein, meinte sie. Es stimmt schon, die meisten Menschen wollen es gar nicht wissen, welche Abgründe sich mit dem eigentlich erbaulichen und harmlosen Hobby – gibt’s das Wort noch? – Schallplattensammeln verbinden können. Eine Leidenschaft, die Leiden schafft!
CE: Stimmt. Viele Sammler*innen hadern permanent mit ihrem Faible für Schallplatten. Die können ja auch sehr raumgreifend sein – physisch, zeitlich, finanziell …
MH: Ja, irgendwann wirst Du zum Sklaven Deiner Tonnen von Altplastik – kannst nicht mehr umziehen, zum Beispiel. Das erlebe ich gerade. Keine Details! Übrigens, habe ich angefangen, bei Michelle Records zu verkaufen. Ich halte mich jetzt an eine Obergrenze – wie hoch war die nochmal – und alles was durch Neuzugänge darüber hinausgeht, muss durch Verkäufe ausgeglichen werden, oder so. Eventuell würde ich wen brauchen, der das kontrolliert. Was anderes, freust du dich über dein Buch? Was bedeutet es dir?
CE: Klar freue ich mich! Das Buch ist ja meine Dissertation und somit Abschluss einer jahrelangen Forschung und auch eines Lebensabschnitts. Den Text jetzt zwischen zwei Buchdeckeln zu sehen, ist befreiend. Besonders freut mich, dass Alex Solman, der Vielen als Illustrator der Flyer für den Golden Pudel Club bekannt ist, das Cover gestaltet und jedes Kapitel illustriert hat. Wie ist das denn für dich? Du hast in deiner Karriere als Journalist ja schon unzählige Texte veröffentlicht. Über dein Leben hast du jetzt fast 700 (!) Seiten geschrieben. Da passt mein Buch zweieinhalb Mal rein. Ist diese wirkliche Longform so etwas wie die Krönung für dich?
MH: Krönung, absolut! Für mich macht „Mann auf der Couch“ ein völlig neues Kapitel auf. Die Arbeiten daran, es waren am Ende ja drei Jahre, waren ein guter, kontemplativer Ausgleich zur eher kurzamtigen, kleinteiligen Tätigkeit in der Agentur. Teilweise auch ein Albtraum – so ein Textmonster arbeitet irgendwann auch gegen dich, wird feindselig. Allerdings hilft mir, was ich im Content Marketing gelernt habe, jetzt dabei, mein Buch bekannt zu machen. Es ist ja auch nichts anderes als – Content!
CE: Welche Erwartungen verbindest Du mit der Veröffentlichung?
MH: Dass ich geliebt und gehasst werde, nur egal darf es nicht sein. Und du?
CE: Das Thema ist „special interest“, da muss man sich nichts vormachen. Aber der Text ist so angelegt und geschrieben, dass er – das ist zumindest meine Hoffnung – auch für ein musikaffines Publikum außerhalb der Kulturwissenschaft attraktiv ist. Mit Transcript habe ich einen Verlag gefunden, der nicht nur eine akademische Leserschaft anspricht, sondern auch darüber hinaus wahrgenommen wird. Wenn das Buch bald nicht nur in den Regalen einiger Bibliotheken und Kolleg*innen, sondern auch Musiksammler*innen stehen würde, wäre das ein toller Erfolg! Dank einer Förderung des Schweizerischen Nationalfonds ist das Buch übrigens auch digital als Open Access Version erhältlich. So wie wir weiterhin Schallplatten kaufen, obwohl es die meiste Musik (fast) kostenlos im Netz gibt, bin ich zuversichtlich, dass dadurch auch Buchleser*innen auf die Publikation aufmerksam werden.