18. Juni 2020
Videokonferenzen: The Big Sleep

Sitzt die Frisur? Wo schaut der Andere hin? Die Video-Konferenz, der Inbegriff des Corona-Lockdowns, stellt ganz besondere Anforderungen an die Teilnehmer*innen. Der HuF-Chef ist da sehr skeptisch

Text: Michael Hopp

Ich mag keine Video-Konferenzen. „Zoom-Fatigue“, das trifft’s, darunter leide ich. Das nach der bekannten Software benannte Überforderungs-Symptom der Corona-Kultur beschreibt die bleischwere Müdigkeit, die offenbar nicht nur mich vor dem kleinen Kamera-Auge am Bildschirm regelmäßig befällt, sondern auch vereinzelte andere aus der Menge der 300 Millionen Neukund*innen, die „Zoom Video Communications“ seit Corona-Beginn gewonnen hat. Eingefrorene Gesichter und der Blick starr aufs eigene Doppelkinn gerichtet – das soll Kommunikation sein? Schnarch.

Es fängt schon damit an, dass man niemanden in die Augen sehen kann. Damit das Gegenüber das Gefühl hat, angesehen zu werden, muss man direkt in die Kamera schauen – dann sieht man aber das Gegenüber nicht mehr. Leere, tote Blicke sind die Folge. Blicke, die eigentlich lügen.

Der Ausweg: An der Kamera vorbeischauen?

Ich habe das Problem für mich gelöst, indem ich bewusst an der Kamera vorbeischaue, was aber jemand, der mich nicht kennt, als unhöflich empfinden mag. Den größten Teil meiner Aufmerksamkeit beansprucht ohnehin das Fenster, in dem man sich selber sieht. Wie gut kommt mein frisch gewachsener Corona-Bart rüber? Sitzt die Frisur, oder habe ich zu viel Gel erwischt?

Wir bei HuF hatten interne Besprechungen mit Homeoffice-Insass*innen per Videokonferenz, aber auch einige Kundentermine – die einem oft dazu verhelfen, neue Konferenz-Software (und ihre Probleme!) kennenzulernen. Bei den internen Videomeetings war auffällig, dass es viel schwerer fiel, Vereinbarungen zu treffen und Verbindlichkeit herzustellen – was dann gleich zur nächsten Videokonferenz führte. Wahrscheinlich hat das Herstellen von Verbindlichkeit doch mit dem Herstellen von Blick-Kontakt zu tun, für einen Moment wenigstens.

Bei Kundenterminen war für mich quälend, dass man kein Gefühl dafür bekommt, wie das, was man sagt oder präsentiert, ankommt. Steht man als kompletter Vollidiot da – oder ist man gerade auf dem Homerun seines Lebens und bringt einen Riesen-Job nach Hause? Keine Ahnung, die öden Bilder am Rechner verraten es nicht. Deutlich habe ich die Erfahrung gemacht, wie sehr ich in der Kommunikation auf die non-verbalen Signale angewiesen bin, die (echten) Blicke, Mimik und Gestik, das Zurechtruckeln in der Sitzposition. (Positiv könnte man sagen: Wie gut ich darin bin, sie zu nutzen.) Vielleicht sogar Gerüche, Angst zum Beispiel riecht.

Nur 20 Prozent Inhalt

In der Rhetorik sagt man, dass nur 20 Prozent der Wirkung eines Auftritts aus den verbalen Inhalten kommen – und 80 Prozent aus Ausstrahlung, Körpersprache, Mensch sein. Es ist wirklich nicht viel, was Videokonferenzen übertragen können. Für mich reicht es nicht, um damit vernünftig arbeiten zu können.

Und jetzt kommt noch ein Geständnis. Ich mochte es, wenn wir früher im Team zwölf Stunden in der Bahn saßen, um zum Beispiel in Essen eine zweistündige Redaktionskonferenz zu haben. Aus heutiger Perspektive der Gipfel an Ineffizienz! Jedoch, in den zwei Live-Stunden ist soviel rausgekommen, dass es für Wochen reichte. Und in den Stunden des Aufeinanderhockens in überfüllten ICE-Bordrestaurants entstanden Freundschaften und Teamgeist – für die Ewigkeit. Naja, fast.

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