Interview: Peter Lindlahr, hySOLUTIONS
„Wirtschaftsverkehr braucht den Wasserstoff“

Er hat das Potenzial, Industrie und Mobilität nachhaltig zu verändern. Welche Möglichkeiten Wasserstoff bietet und welche Herausforderungen mit der Technologie verbunden sind

Ein Lkw fährt mehrere hundert Kilometer weit, ohne an die Tankstelle zu müssen. Und die Emissionen bestehen nur aus Wasserdampf. Eine schöne Vorstellung, die zum Greifen nah ist. Der Energieträger, der das möglich macht, ist Wasserstoff. Wasserstoff ist das häufigste chemische Element auf der Erde, neun von zehn Atomen auf unserem Planeten sind Wasserstoff-Atome. Die Idee, Wasserstoff wirtschaftlich zu nutzen, gibt es denn auch schon sehr lange. Im Weg stand dem bisher der große Energieaufwand, der nötig ist, um aus Wasser Wasserstoff herzustellen, in dem man in einem chemischen Prozess H2O in Wasserstoff und Sauerstoff aufspaltet.

Doch dank des Erneuerbare-Energien-Gesetzes wird jetzt sehr viel grüner Strom produziert. Und wenn dieser Strom von den Verbrauchern nicht abgefragt wird, kann man ihn nutzen, um Wasserstoff zu produzieren. Damit löst man nicht nur das Problem, dass sich Strom kaum wirtschaftlich speichern lässt, sondern stellt auch einen emissionsfreien Energieträger zur Verfügung. In sogenannten Brennstoffzellen lässt sich aus dem Wasserstoff Energie erzeugen, die man nutzen kann, eben für Lkw und andere Fahrzeuge oder für industrielle Anwendungen.

Norddeutschland mit seinen windreichen Küsten und Hamburg mit seiner umfangreichen Industrielandschaft sind ideal geeignete Standorte für eine Wasserstoff-Wirtschaft. Hamburg startet nun auch mit einer großen Offensive in den Aufbau einer Wasserstoff-Wirtschaft. Was das der Stadt und was den Hamburger Unternehmen bringt, erklärt Peter Lindlahr, Geschäftsführer von hySOLUTIONS. Die Gesellschaft ist einer der entscheidenden Treiber der Wasserstoff-Technologie in der Hansestadt.

Hamburger hat kürzlich eine große Wasserstoff-Offensive ausgerufen. Welche Maßnahmen sind dabei geplant?
„Wirtschaftsverkehr braucht den Wasserstoff“
Peter Lindlahr, Geschäftsführer von hySOLUTIONS

Nach einer langjährigen intensiven Fachdiskussion ist das Thema Wasserstoff mittlerweile im öffentlichen Bewusstsein angekommen. Und das ist gut so.  Die Landesregierungen, die Bundesregierung, alle verfolgen ambitionierte Ziele in puncto Wasserstoff. Es mangelt nicht an Strategiepapieren, es mangelt derzeit noch bei den Anreizen für potentielle Marktakteure. Und da wollen wir ansetzen. Die Hamburger Wasserstoff-Offensive ist Teil der Wasserstoff-Strategie der fünf norddeutschen Bundesländer. Hierbei hat Hamburg ein spezifisches Potenzial, einerseits durch einen leistungsstarken Hafen, andererseits durch hier ansässige große Industriekonzerne, die als energieintensive Unternehmen, etwa im Bereich der grundstoffverarbeitenden Industrie, prädestinierte Abnehmer von grünem Wasserstoff sind. Der räumliche Bezug zur küstennahen Windenergieerzeugung und die Bandbreite industrieller Produktionskapazitäten in Hamburg sind ideale Voraussetzungen, die wir sehr gut für die kommende Marktentwicklung beim Wasserstoff nutzen können.

Das Ziel ist es, einen sich selbst tragenden Markt zu schaffen, der mittelfristig ohne Subventionen auskommt und keine über Jahrzehnte laufende Förderung benötigt. Eine begleitende Forschung, die von außen finanziert wird, wird es vermutlich weitergeben, aber darüber hinaus soll sich der Markt selber finanzieren. Dafür sind Ansätze nötig, die einerseits technisch machbar und anderseits vor allem auch skalierbar sind. Wasserstoff ist kein Primärenergieträger, er muss immer mit erheblichem Aufwand aus bestenfalls regenerativen Energiequellen umgewandelt werden. Deshalb ist das im Moment kein kostendeckender Technologieeinsatz. Auch beim Wasserstoff gilt: erst über Skaleneffekte kann Wirtschaftlichkeit erreicht werden, denn Menge ermöglicht Kostendegression.

Inwieweit ist die Wasserstoff-Technologie zwingend an die Windenergie geknüpft?

Natürlich gibt es da einen klaren wechselseitigen Bezug. Windenergieanlagen, offshore wie onshore, produzieren Energie, wenn gerade viel Wind weht, nicht unbedingt wenn gerade viel Energie gebraucht wird. Und die nicht abgerufene Energie kann man ideal einsetzen, um in Elektrolyseuren Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufzuspalten. Man spricht vom grünen Wasserstoff, der auf diese Weise mit erneuerbarer Energie erzeugt wird. Dann gibt es gemäß der politisch gängigen Farblehre auch noch blauen, türkisen und grauen Wasserstoff aus fossilen Energieträgern. Diese Differenzierung wird aber der Einsicht weichen, dass Wasserstoff grundsätzlich immer regenerativen Ursprungs also ein vollständig emissionsfreier Energieträger, sein sollte.

Welche Rolle nimmt hySOLUTIONS in der Hamburger Offensive ein?

Wir sehen uns als einen Koordinator und Prozessgestalter, wir gestalten das Networking für die lokale Wirtschaft, kümmern uns ums Match Making und um Drittmittelakquise. hySOLUTIONS ist eine Public-private Partnership. Die Hamburger Hochbahn ist Mehrheitsgesellschafter, weitere Gesellschafter sind die VHH Verkehrsbetriebe Hamburg-HolsteinStromnetz Hamburg, Gasnetz Hamburg, die Hamburg Port AuthorityHandelskammer und Handwerkskammer Hamburg, aber auch Vattenfall.

Die Geburtsstunde von hySOLUTIONS war 2005, als die Hochbahn begann, Wasserstoffbusse einzusetzen. Diese Fahrzeuge zogen ja immer so einen sichtbaren Schweif von Wasserdampf hinter sich her und wurden im Straßenbild von den Hamburgerinnen und Hamburgern sehr positiv wahrgenommen. Seit 2010 agiert hySOLUTIONS als zentrale Projektleitstelle für batteriebetriebene Elektromobilität, sowohl bei den Fahrzeugen und vor allem auch bei der Ladeinfrastruktur, und seit 2016 betreuen wir auch das Thema automatisiertes Fahren mit den entsprechenden Strecken in der Hafencity und rund ums Messegelände. Wir kümmern uns nicht nur um Wasserstoff, sondern um alternative Antriebsformen generell.

Aber wie technologieoffen kann man sein, wenn man doch für die Umsetzung verschiedener alternativer Antriebsformen auch verschiedene Infrastrukturen braucht? Neben der Versorgung konventioneller Verbrenner gibt es schließlich gerade mal ein im Aufbau befindliches E-Ladenetz.

Natürlich ist die Infrastruktur ganz maßgeblich. Der Auf- und Ausbau von Infrastruktur läuft zeitlich dem Fahrzeughochlauf immer etwas voraus, denn um das Henne-Ei-Problem zu überwinden, muss die Infrastruktur immer Henne sein. Das ist wichtig und auch nicht so simpel. Eine Ladesäule ist in Bezug auf Komplexität und Kostenaufwand natürlich auch nicht vergleichbar mit einer Wasserstofftankstelle. Wir brauchen beide Arten von Infrastruktur. Hierbei geht es nicht vorrangig um Produkte, sondern um Konzepte. Und da ist zumeist der Gesamtkontext entscheidend. Ein Haupthemmnis beim Markthochlauf der Elektromobilität etwa sind die Autohäuser, die weiterhin in traditioneller Produktfixierung verharren und relativ überfordert sind, wenn es darum geht, Elektromobilität als ganzheitliches Konzept zu vermitteln. Diesen Paradigmenwechsel, vom Produkt zum Konzept, vollzieht der Autohandel in nicht ausreichendem Maße. In puncto Marktperspektive sind Autohäuser die Videotheken von morgen. Für die Nutzer wird die E-Mobilität perspektivisch jedoch immer selbstverständlicher und durch technologische Innovation werden für sie viele Prozesse immer serviceorientierter, etwa wenn Blockchain-Technologie dafür sorgt, dass sich das Auto an der Ladesäule selbst anmeldet.

Zurück zur Hamburger Wasserstoff-Offensive: Welche Projekte gibt es im Moment in Hamburg, welche sind geplant?

Aktuell ist in Hamburg bereits einer der im internationalen Vergleich größten Elektrolyseure zur Wasserstoff-Erzeugung bei den H+R Ölwerken im Hamburger Hafen im Einsatz. Dies ist sicherlich eine best practice im Bereich der industriellen Anwendungen. Die Anlage läuft zuverlässig und erzeugt Wasserstoff zur Selbstversorgung.

Für Unternehmen aus energieintensiven Industrien wie eben Chemie, Petrochemie, Kupfer- oder Stahlerzeugung ist Wasserstoff als Energieträger sehr attraktiv. Diese Unternehmen sind verpflichtet, sich am Europäischen Emissionshandel zu beteiligen und für ihren Treibhausgas-Ausstoß Emissionsberechtigungen zu kaufen. Wasserstoff als emissionsfreier Energieträger senkt diese Kosten. Produzierende Unternehmen, die 24/7 betrieben werden, sind immer auf der Suche nach Möglichkeiten, ihre Energieeffizienz zu verbessern. Da wurde in den letzten Jahren und Jahrzehnten so viel optimiert, dass bestehende Effizienzpotentiale weitgehend ausgeschöpft sind. Bleibt also die Substitution des Energieträgers.

Geplant, und vom Hamburger Senat vorangetrieben wird eine Elektrolysemit einer Kapazität von 100 Megawatt. Das wäre dann schon eine Dimension, die weltweit gegenwärtig ihresgleichen sucht. Über den oder die konkreten Standorte ist noch nicht entschieden, denn es kann durchaus sein, dass die genannte Größenordnung in einem modularen Setting realisiert werden wird

Und hySOLUTIONS arbeitet daran, dass sich relevante Unternehmen in und um Hamburg ansiedeln?

Wir wollen Impulse setzen, damit ein Wasserstoff-Ökosystem entsteht. Hierzu gehört auch, dass sich Unternehmen ansiedeln, die die Entwicklungen beim Wasserstoff vorantreiben, die Technologie zur Anwendung bringen und die damit einen wichtigen Beitrag zur Energiewende leisten. Da kann es um verkehrliche und logistische wie auch um industrielle Anwendungen gehen. Das können Produzenten, Anwender oder Dienstleister sein, die die Herausforderungen der Wasserstoff-Technologie annehmen und vor allem deren Chancen sehen. Hierfür wird in Hamburg eine Rahmenarchitektur entstehen. mit einer Vielzahl von Synapsen, an denen wichtige Impulse weitergeleitet werden und intensiv miteinander agiert wird.

Inwieweit ist die Hamburger Wissenschaft in die Wasserstoff-Offensive einbezogen? Welche Kooperationen gibt es?

Auch wenn mancher etwa bei Brennstoffzellen zuerst an Forschungseinrichtungen im Süden Deutschlands denken mag: Wir haben hier in Hamburg eine profunde wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema. Und jede der Hamburger Hochschulen befasst sich mit einem anderen Aspekt. Die Universität Hamburg hat einen Schwerpunkt bei den Grundlagen der anorganischen Chemie. Die Technische Universität Hamburg-Harburg ist sehr stark in den Aspekten Verfahrenstechnik und Infrastruktur. Mit Energienetzen und Netzintegration beschäftigt sich die Helmut-Schmidt-Universität, mit stadträumlichen Kontexten und der Digitalisierung die HafenCity Universität. Die Hochschule für Angewandte Wissenschaften schließlich koordiniert das Norddeutsche Reallabor der Energiewende.

Damit haben wir in jeder Sparte das Beste. Alle fünf Hochschulen sind zudem im Energieforschungsverbund Hamburg zusammengeschlossen. Zusätzlich gibt es noch das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut, das sich mit den internationalen Wertschöpfungsketten im Energiesektor befasst.

Gibt es auch eine Zusammenarbeit Hamburgs mit dem vom Bund geförderten Projekt Westküste 100 aus dem Kreis Dithmarschen, dem ersten Reallabor für Wasserstofftechnik in Deutschland?

Wir verstehen uns als Partner einer einheitlichen norddeutschen Wasserstoff-Strategie und kennen die Akteure in Heide/Dithmarschen sehr gut. Dort werden wichtige Grundlagenarbeiten für das Zeitalter des synthetischen Kerosins geleistet, die es dann auch der Luftfahrtbranche ermöglichen wird, ihren Carbon Footprint verbessern zu können. Ein sehr spannendes Projekt.

In Hamburg sind ja auch zwei Reallabore zur Energiewende angesiedelt, unter anderem das Norddeutsche Reallabor zur Sektorkopplung und Bearbeitung weiterer wichtiger gesamtsystemischer Fragestellungen unter Leitung der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW). Natürlich arbeiten wir da auch mit Akteuren aus Schleswig-Holstein und auch Mecklenburg-Vorpommern zusammen. Die größte Bedrohung für den Fortschritt wäre Kleinstaaterei. In der regionalen Kooperation wie auch bei der interregionalen und bundesweiten Zusammenarbeit liegen noch riesige Potentiale. Und schließlich auch international, denn perspektivisch werden wir nicht unseren Energiebedarf aus eigener Produktion decken. Da geht es dann gleichermaßen um grünen Wasserstoff über Windenergie aus Nordeuropa wie auch Wind- und Solarenergie aus dem Süden, etwa aus Nordafrika.

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